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Zweites Betriebsrentenstärkungsgesetz: Welche Neuerungen sind geplant?

Zweites Betriebsrentenstärkungsgesetz: Welche Neuerungen sind geplant?

Nur ca. 18,4 Mio sozialversicherungspflichtig Beschäftigte in Deutschland sind derzeit Anwärter:innen auf eine Betriebsrente. Damit liegt der Verbreitungsgrad der betrieblichen Altersversorgung (bAV) unter 54 %. Besonders niedrig ist er in Kleinbetrieben und bei Geringverdienern. „Diese Zahlen sind nicht zufriedenstellend, sagt Dr. Natalie Brall, Unterabteilungsleiterin im Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS). „Die Bundesregierung hat daher im Koalitionsvertrag vereinbart, die bAV zu stärken.“ Ein Referentenentwurf zum Zweiten Betriebsrentenstärkungsgesetz (BRSG II) liegt nun vor. Dessen Inhalte erläuterten Dr. Brall und Bettina Schwindt, Referentin in der Unterabteilung Gesetzliche Rentenversicherung und zusätzliche Altersversorgung des BMAS, am 24. Juli 2024 auf einer Sonderveranstaltung des Lurse Round Table Frauen in der bAV.

Damit in Zukunft mehr Arbeitnehmer in den Genuss einer zusätzlichen, betrieblichen Altersversorgung kommen, soll das BRSG II vor allem die Rahmenbedingungen im Arbeits-, Finanzaufsichts- und Steuerrecht verbessern. Hier ein Überblick über die vorgesehenen Änderungen:

Arbeitsrecht

Neuerungen beim Sozialpartnermodell

„Herzstück des Zweiten Betriebsrentenstärkungsgesetzes ist die arbeitsrechtliche Weiterentwicklung des Sozialpartnermodells (SPM)“, erklärte Dr. Brall.

Laut § 24 Abs. 1 BetrAVG können sich bisher Unternehmen und Arbeitnehmer an SPM beteiligen, die unter einen einschlägigen Tarifvertrag fallen. Einschlägig bedeutet, dass Dritte sich nur auf einen räumlich, zeitlich, betrieblich-fachlich und persönlich maßgeblichen Tarifvertrag berufen können, der bei einer Tarifbindung ohnehin zwischen den Arbeitsvertragsparteien gelten würde.

Stimmen Tarifvertragsparteien, die das Modell tragen, dem zu, kann sich das SPM künftig für alle Beschäftigte öffnen, wenn

  1. ein „Öffnungs-Tarifvertrag“ das vorsieht (§ 24 Abs. 2 Nr. 1 BetrAVG) oder
  2. die Gewerkschaft nach ihrer Satzung für das Arbeitsverhältnis zuständig ist (§ 24 Abs. 2 Nr. 2 BetrAVG).

Bei Variante 1 können tarifvertraglich „andockende“ Sozialpartner eigenständige Regelungen, z.B. zur Höhe der Versorgungsbeiträge, treffen. Sie nutzen dann nur die Organisations- und Durchführungsstrukturen eines bestehenden SPM. An der Durchführung und Steuerung des SPM müssen sie sich nicht zwingend beteiligen. Sie können aber auch die Regelungen des Ausgangstarifvertrags übernehmen.

Nach Variante 2 wird ein nicht einschlägiger SPM-Tarifvertrag per Arbeitsvertrag vollumfänglich auf Arbeitsverhältnisse angewendet, die in den Zuständigkeitsbereich derjenigen Gewerkschaft fallen, die das SPM trägt. So ließe sich beispielsweise eine Banken-SPM von ver.di auf Handel, Versicherungen, die IT-Branche oder auf freie Berufe wie Steuerberater übertragen.

Dr. Brall hält die Diskussion einer missbräuchlichen Nutzung von Variante 2 durch sogenannte „Gelbe Gewerkschaften“ für mehr oder weniger theoretisch. Voraussetzung ist nämlich immer, dass die das SPM tragenden Tarifvertragsparteien einer Öffnung zustimmen. Die tragenden Tarifvertragsparteien sind die Sozialpartner, die sich an der Steuerung und Durchführung beteiligen.

Ursprünglich wurde eine Sonderregelung für die freien Berufe diskutiert. Letztlich wurde darauf verzichtet, da die Beschäftigten, die unter die Satzungshoheit von ver.di fallen, sich künftig an deren SPM beteiligen können, wenn die Sozialpartner zustimmen.

Hinzukommen soll jedoch eine Sonderregelung für bei Sozialpartnern Beschäftigte und eine Klarstellung zur Kostenbeteiligung von Dritten: Zum einen können Beschäftigte der Arbeitgeberverbände und der Gewerkschaften künftig beim „eigenen“ Sozialpartnermodell mitmachen (§ 24 Abs. 3 BetrAVG). Zum anderen können am SPM teilnehmende Dritte an dessen Kosten beteiligt werden (§ 24 Abs. 4 BetrAVG). Laut Referentenentwurf kann ein Zusatzbeitrag von Nichtverbandsangehörigen an die jeweiligen Sozialpartner oder in einen Puffer der reinen Beitragszusage fließen. In letzterem Fall soll hinsichtlich seiner Verwendung zwischen Gewerkschaftsmitgliedern und   -nichtmitgliedern unterschieden werden können.

Zudem sieht der Referentenentwurf in § 22 Abs. 3 BetrAVG künftig eine Portabilität vor, also das Recht, bei einem Wechsel des SPM bzw. der entsprechenden Versorgungseinrichtung das gebildete Kapital auf die neue Versorgungseinrichtung zu übertragen.

Außerdem weist Dr. Brall auf folgende Regelung des Referentenentwurfs hin: „Welche Folgen eine fehlerhafte Beteiligung der Sozialpartner an Durchführung und Steuerung der SPM hat, wird in der Literatur breit diskutiert. Um Rechtssicherheit zu schaffen, wollen wir klarstellen, dass die reine Beitragszusage dadurch nicht unwirksam wird.“

 Neuregelungen bei Abfindungen

„Grundsätzlich widersprechen Abfindungsregelungen bei Betriebsrenten dem Versorgungszweck“, so Dr. Brall. „Aber Arbeitgeber sollen auch nicht übermäßig mit administrativen Aufgaben belastet werden. Daher sind Abfindungen im geringen Maße zu befürworten.“ Nach § 3 Abs. 2 BetrAVG sind heute Abfindungen von Anwartschaften ohne Zustimmung des Arbeitnehmers möglich, wenn der Monatsbetrag der aus der Anwartschaft resultierenden Rente bei Erreichen der vorgesehenen Altersgrenze 1 Prozent der monatlichen Bezugsgröße im Sinne von § 18 SGB IV nicht übersteigen würde. Der Referentenentwurf sieht nun als zweite Option vor, dass die Abfindungsgrenze auf 2 Prozent erhöht wird, wenn der Abfindungsbetrag mit Zustimmung des Beschäftigten in die Gesetzliche Rentenversicherung (GRV) fließt (§ 3 Abs. 2a BetrAVG, §§ 187b, 76a Abs. 2 SGB VI). Beide Regelungen gelten künftig parallel. Die neue kann, muss aber nicht angeboten werden. Den Abfindungsbetrag kann der Arbeitgeber steuerfrei an die GRV übermitteln.

Die Teilnehmerinnen am Round Table äußerten sich überwiegend kritisch zu dieser neuen Option. Sie befürchten einen enormen Verwaltungsaufwand für die Unternehmen. Erstens seien Einzelabsprachen mit Beschäftigten mit einem erheblichen Beratungsaufwand verbunden, der obendrein Haftungsfragen aufwirft. Zweitens fehle die Möglichkeit, die Abfindungen an berufliche Versorgungswerke zu übertragen, die der GRV grundsätzlich gleichgestellt sind. Hier wäre es wichtig, mit den zuständigen Ländern eine entsprechende Lösung zu erarbeiten. Drittens würden sie erwarten, dass der Einzahlungsprozess an die GRV automatisiert und effizient erfolgt. Eine Abwicklung über Formulare sei zu aufwändig. Bisher hat der Gesetzgeber keinen strukturellen Weg für die Abwicklung vorgesehen.

Ein weitere Abfindungsmöglichkeit soll es künftig bei Pensionskassen in der Rechtsform eines Versicherungsvereins auf Gegenseitigkeit geben. Wird eine solche Kasse mit Genehmigung der BaFin liquidiert und das Deckungsvermögen an die Versorgungsberechtigten ausgezahlt, wird eine entsprechende Abfindung durch den Arbeitgeber fingiert. Eine solche Auflösung wird möglich, wenn eine Fusion mit einer anderen Kasse nicht in Betracht kommt und wenn die Pensionskasse keine wirtschaftlich sinnvolle Bilanzsumme mehr aufweist oder nur noch wenige Mitglieder hat.

Erweiterung von Opting-Out-Systemen

Opting-Out-Systeme sind heute laut § 20 Abs. 3 BetrAVG nur auf der Grundlage von Tarifverträgen möglich. Das Zweite Betriebsrentenstärkungsgesetz soll die Möglichkeit eröffnen, Opting-Out-Systeme zur automatischen Entgeltumwandlung ohne tarifvertragliche Grundlage zwischen Betriebsrat und Arbeitgeber (§ 20 Abs. 3 BetrAVG) zu vereinbaren. Voraussetzung ist, dass der Arbeitgeber mindestens 20 % des umgewandelten Entgelts hinzugibt. „Unser Ziel ist es, bAV-Systeme in Betrieben auf- und auszubauen, die nicht von Tarifverträgen erreicht werden“, sagte Dr. Brall. „Wir gehen davon aus, dass die Beteiligung der Arbeitgeber dazu beiträgt, diese Form von Versorgungssystemen effizient zu organisieren und Missbräuche zu vermeiden.“

Die 20 %-Regelung traf beim Round Table auf wenig Verständnis. Opting-Out-Systeme seien grundsätzlich im Interesse der Arbeitnehmenden und des Betriebsrates und müssten nicht durch zusätzliche verpflichtende Arbeitgeberbeiträge aufgewertet werden. Aus Sicht der Unternehmen stelle sich die Frage, wieso man nicht an der 15 %-Regelung festhalte. Zudem wurde die Sorge geäußert, dass ein höherer Mindestbeitrag Begehrlichkeiten in anderen bAV-Systemen wecken und harte Verhandlungen zwischen den Tarifpartnern nach sich ziehen könnte. Aus Gewerkschaftsperspektive wird der § 20 Abs. 3 BetrAVG abgelehnt.

Anpassung beim Hinzuverdienst

Um dem Fachkräftemangel entgegenzuwirken, hat der Gesetzgeber zum 1. Januar 2023 die Hinzuverdienstgrenzen für vorgezogene Altersrenten in der GRV vollständig abgeschafft. Das BRSG II soll diese Regelung an das Betriebsrentenrecht anpassen. In Zukunft können Arbeitnehmer – unabhängig davon, ob sie Voll- oder Teilrenten aus der GRV beziehen – Betriebsrenten erhalten (§ 6 BetrAVG). Allerdings bleibt von der Neuregelung unberührt, dass als Leistungsvoraussetzung für den Bezug einer Betriebsrente das Ausscheiden des Beschäftigten beim Arbeitgeber oder aus dem Erwerbsleben weiterhin vorgesehen werden kann. Zudem kann der Arbeitgeber Regelungen für eine Teilbetriebsrente treffen, etwa indem er die Höhe der Betriebsrente von derjenigen der Teilrente abhängig macht.

 Finanzaufsicht

In Sachen Finanzaufsicht arbeitet das BMAS eng mit dem hierbei federführenden Bundesfinanzministerium (BMF) zusammen.

Geplant ist, die Risikokapitalanlagequote bei Pensionskassen von derzeit 35 % auf 40 % des Sicherungsvermögens zu erhöhen. Dieser Spielraum lässt sich je nach Risikotragfähigkeit der Kasse durch ein Anlage- und Risikomanagement nutzen.

Zudem sieht der Entwurf vor, die Bedeckungsvorschriften bei Pensionskassen zu lockern. Damit lässt sich die Vermögensanlage stärker auf die Endfälligkeit der Leistung ausrichten, anstatt permanent eine Mindesthöhe einzuhalten. Das Vermögen der Pensionskassen kann also innerhalb eines bestimmten Toleranzbereichs zeitweilig auch unter die Verpflichtung und die Rückstellungen fallen.

Pensionsfonds sollen zukünftig auch Ratenzahlungen anbieten können. Für SPM wird die Möglichkeit der Pufferbildung verbessert, um weitere Handlungsspielräume zu eröffnen und Rentenkürzungen zu vermeiden.

Wegen des neuen Hinzuverdienstrechts in der GRV soll es den Pensionskassen gestattet werden, höhere Zahlungen bei vorzeitigem Leistungsbezug zu vereinbaren (§ 232 Abs. 1 VAG), wenn

  • das Erwerbseinkommen wegfällt oder eine Alters-Vollrente aus der GRV bezogen wird bzw.
  • die AVB bereits Leistungen vorsehen, wenn das Erwerbseinkommen teilweise wegfällt oder eine Alters-Teilrente aus der GRV bezogen wird.

Steuerrecht

Ausbau der Geringverdienerförderung

Als weiteren wesentlichen Punkt sieht der Referentenentwurf vor, die Geringverdienerförderung durch den Ausbau des § 100 EStG zu verbessern. Der Paragraph war 2018 durch das Betriebsrentenstärkungsgesetz für Beschäftigte mit geringem Einkommen eingeführt worden und sieht eine steuerliche Förderung von Beiträgen des Arbeitgebers zur kapitalgedeckten betrieblichen Altersversorgung vor. Ab 2025 sollen laut Referentenentwurf Arbeitgeberbeiträge bis höchstens 1.200 Euro p.a. (bislang max. 960 EUR p.a.) mit einer Lohnsteuerfreistellung gefördert und der maximale bAV-Förderbetrag für den Arbeitgeber von 288 Euro auf 360 Euro p.a. erhöht werden. Außerdem wird die förderfähige Einkommensgrenze dynamisiert, indem deren monatliche Höhe an die Beitragsbemessungsgrenze (BBG) in der allgemeinen Rentenversicherung (GRV) gekoppelt wird: Diese soll 3 % der BBG betragen. Die Koppelung an die BBG ist auch heute schon im Steuerrecht üblich, etwa in § 3 Nr. 63 EStG. Die geplanten Änderungen des §100 EStG wurden von den Teilnehmerinnen begrüßt.

 Weitere Änderungen

Fortsetzung von Direktversicherungen

Der Referentenentwurf sieht außerdem vor, dass eine Direktversicherung nicht mehr nur nach der Elternzeit zu den ursprünglich vereinbarten Bedingungen fortgesetzt werden kann, sondern grundsätzlich nach allen Beschäftigungszeiten, in denen der Arbeitnehmer kein Entgelt bezieht, also auch nach Sabbaticals, Langzeiterkrankungen, etc. (§ 212 VVG).

Wertguthaben bei vorgezogenen Altersrenten

Künftig können Wertguthaben auch dann bis zum Ablauf des Kalendermonats des Erreichens der Regelaltersgrenze entspart werden, wenn der Arbeitnehmer eine vorgezogene Altersrente aus der GRV erhält (§ 7c Abs. 1 SGB IV). Das ist bei Bezug der gesetzlichen Altersrente als Teil- und Vollrente möglich. Unternehmen hatten diese Änderung im Recht der Wertguthaben bereits im Zuge der Neuregelung des Hinzuverdienstrechts in der GRV gefordert.

Beim Round Table wurde die Frage nach einer Übergangsregelung gestellt, denn bis zum Inkrafttreten des BRSG II müssten diese Fälle noch als Störfälle abgewickelt werden.

Sonderzahlungen bei Pensionskassen

Sonderzahlungen an Pensionskassen zwecks Vermeidung von Betriebsrentenkürzungen sind nicht dem sozialversicherungsrechtlichen Arbeitsentgelt zuzurechnen.

Auf die geplanten Neuregelungen für den PSVaG wurde beim Round Table nicht ausführlich eingegangen.

Ausblick

Da das Zweite Betriebsrentenstärkungsgesetz auch das Steuerrecht betrifft, muss der Bundesrat ihm zustimmen. Der Arbeits- und der Finanzminister wollen den Referentenentwurf Anfang September ins Kabinett einbringen. Danach beginnt das parlamentarische Gesetzgebungsverfahren, das im Februar 2025 beendet sein soll. Das Gesetz soll grundsätzlich am Tag nach der Verkündung im Bundesgesetzblatt in Kraft treten. Die Änderungen bei der Geringverdienerförderung sollen jedoch bereits ab 1. Januar 2025 gelten.

Grundsätzlich begrüßten die Teilnehmerinnen des Round Table das Vorhaben der Bundesregierung, die betriebliche Altersversorgung zu stärken und ihr zu einem höheren Verbreitungsgrad zu verhelfen. Der vorgestellte Referentenentwurf zum BRSG II enthält dazu viele konstruktive Ansätze, wirft aber auch kritische Fragen auf, insbesondere, wenn es um administrative Belastungen für die Unternehmen geht. Inwieweit es den anvisierten Zielen tatsächlich dient, wird die Praxis zeigen.

Autorin: Utta Kuckertz-Wockel, Lurse

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