Welche Informationspflichten hat der Arbeitgeber in der bAV?
Ende Juni 2020 ist die Begründung des Urteils vom 18. Februar 2020 (3 AZR 206/18) über die Hinweis- und Informationspflichten des Arbeitgebers bei Betriebsrenten vom Bundesarbeitsgericht (BAG) veröffentlicht worden. Daraus geht hervor, dass den Arbeitgeber eine Informationspflicht dann treffen kann, wenn er eine größere „Informationsnähe“ als der Arbeitnehmer besitzt. Besteht dagegen kein Kompetenz- und/oder Informationsgefälle, welches nach Treu und Glauben eine Aufklärung erwarten lassen könnte, lässt sich keine Informationspflicht des Arbeitgebers gegenüber seinen Arbeitnehmern ableiten. Erteilt der Arbeitgeber jedoch Auskünfte ohne Rechtspflicht, müssen diese richtig, eindeutig und vollständig sein.
Der Fall
Ein 2014 in den Ruhestand getretener Kläger vereinbarte im September 2003 eine Entgeltvereinbarung mit Kapitalwahlrecht mit seinem Arbeitgeber. Zuvor nahm er an einer Betriebsversammlung teil, auf der ein Fachberater der örtlichen Sparkassen über die Rahmenbedingungen der Entgeltumwandlung für Arbeitnehmer/-innen im kommunalen öffentlichen Dienst (TV-EUmw/VKA) informierte. Nach Auszahlung der Pensionskassenrente im Jahr 2014 als Einmalbetrag wurden zur Überraschung des Klägers Kranken- und Pflegeversicherungsbeiträge erhoben. Drei Monate nach seinem Vertragsabschluss im Jahr 2003 hatte der Gesetzgeber die Sozialversicherungsbeitragspflicht für Betriebsrenten eingeführt. Der Kläger vertritt die Auffassung, sein Arbeitgeber hätte ihn über das laufende Gesetzgebungsverfahren informieren müssen und fordert Schadenersatz. Sein ehemaliger Arbeitgeber sei verpflichtet, ihm die Sozialversicherungsbeiträge zu ersetzen.
Die Entscheidungsfindung des BAG
In dem Revisionsverfahren kommt das BAG in Übereinstimmung mit der Erstinstanz (Arbeitsgericht Dortmund) und abweichend zur Vorinstanz (Landesarbeitsgericht Hamm) zu dem Ergebnis, dass der Kläger keinen Anspruch auf Schadenersatz wegen Verletzung der Beratungs-, Hinweis- und Informationspflichten gegen den beklagten Arbeitgeber hat und begründet das Urteil wie folgt:
- Zum Zeitpunkt der Entgeltumwandlungsvereinbarung des Klägers sahen das Versicherungsvertragsgesetz (VVG) und das Versicherungsaufsichtsgesetz (VAG) keine Beratungs- und Informationspflichten für den Arbeitgeber vor.
- Der mit der Entgeltumwandlungsvereinbarung verbundene Tarifvertrag sah keine Beratungs- und Informationspflichten für den Arbeitgeber vor.
- Der Arbeitgeber verfügte in diesem Fall nicht über eine größere „Informationsnähe“ als der Arbeitnehmer, ihm kam demnach keine Informationspflicht zu. Es kann von dem Arbeitnehmer erwartet werden, dass er sich selbst über die Rechtslage informiert, da die Informationen leicht zu beschaffen seien. Der Arbeitgeber darf weder durch das Bestehen noch durch den Inhalt der arbeitsvertraglichen Informationspflicht überfordert werden.
Erteilt der Arbeitgeber dennoch Auskünfte, gilt das Erfordernis des richtigen, eindeutigen und vollständigen Inhalts laut BAG für die betriebliche Altersversorgung im besonderen Maße. Dies ergibt sich angesichts der finanziellen Auswirkungen auf die langfristige Lebensplanung des Arbeitnehmers. Erkennt ein Arbeitgeber aufgrund besonderer Umstände, dass die Richtigkeit der erteilten Informationen auch für die Zukunft Bedeutung hat, kann sich hieraus die Pflicht ergeben, den Arbeitnehmer auf Änderungen der Sach- und Rechtslage hinzuweisen.
Die Verpflichtung über eine Gesetzesänderung nachträglich zu unterrichten setzt jedoch voraus, dass sich diese auf die Aspekte bezieht, die Gegenstand der ursprünglich erteilten Auskunft waren. Auf der Betriebsversammlung im April 2003 wurde über sozialversicherungsrechtliche Fragen nicht informiert. Der Arbeitgeber hat demnach seine Informationspflicht nicht verletzt.
Kernbotschaften des BAG-Urteils
Die Kerninformationen des BAG-Urteils zu den Hinweis- und Informationspflichten des Arbeitgebers lassen sich wie folgt zusammenfassen:
- Der Arbeitgeber darf weder durch das Bestehen noch durch den Inhalt der arbeitsvertraglichen Informationspflicht überfordert werden.
- Werden gegenüber einem Arbeitnehmer zuvor erteilte Auskünfte des Arbeitgebers unrichtig, hängt die Pflicht des Arbeitgebers, hierüber zu unterrichten, von der Bedeutung der Richtigkeit für die Zukunft ab. Voraussetzung ist, dass der Sachverhalt aufgrund besonderer Umstände für den Arbeitgeber erkennbar ist.
- Eine Informationspflicht des Arbeitgebers kann sich u. a. aus einer größeren „Informationsnähe“ gegenüber dem Arbeitnehmer ergeben.
- Besteht dagegen kein Kompetenz- und/oder Informationsgefälle, wird vom Arbeitnehmer in der Regel erwartet, dass er sich selbstverantwortlich informiert.
- Erteilt der Arbeitgeber Auskünfte, müssen diese richtig, eindeutig und vollständig sein. Dies gilt auch, wenn keine Rechtspflicht zur Information besteht.
- Informieren Vertriebsmitarbeiter externer Versorgungseinrichtungen oder selbstständige Versicherungsvermittler über bAV, sind sie keine Erfüllungsgehilfen des Arbeitgebers.
- Etwas anderes folgt auch nicht daraus, dass die Auskünfte auf einer Betriebsversammlung gegeben wurden. Diese werden nicht vom Arbeitgeber, sondern vom Betriebsrat durchgeführt.
- Vorerst offen bleibt, inwieweit Beratungsleistungen externer Dienstleister als Auskunftserteilung des Arbeitgebers gelten. Diese Frage stellt sich insbesondere bei Direktzusagen.
Anmerkung von Lurse: Bei einer Beauftragung des Beraters durch den Arbeitgeber wird die Erfüllungshilfe zu bejahen sein. Dies müsste sowohl bei Auftritten des Beraters auf Betriebsversammlungen als auch für Informationsmaterial, Hotlines und Sprechstunden gelten.
Dr. Carsten Schmidt
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Utta Kuckertz-Wockel
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