Sozialpartnermodell quo vadis?
Lesen Sie hier den zweiten Teil der Rückschau auf den Lurse Round Table Frauen in der bAV. Es geht um die Zukunft des Sozialpartnermodells aus der Perspektive der Gewerkschaften ver.di und IG Metall. Dr. Judith Kerschbaumer, Leiterin Sozialpolitik, ver.di Bundesverwaltung und Kerstin Schminke, Politische Sekretärin Tarifpolitik/-recht, IG Metall berichten über den aktuellen Stand der Verhandlungen und die Perspektiven des Sozialpartnermodells.
Frau Dr. Kerschbaumer berichtete, dass ver.di seit gut einem Jahr die ersten Sozialpartnermodelle in Form von Flächen- und Haustarifverträgen verhandelt. Konkret geht es um den Haustarifvertrag eines Versicherers, einen Flächentarifvertrag im Bankensektor und einen Haustarifvertrag eines Energieunternehmens. In allen diesen Fällen sei das Sozialpartnermodell von den Beschäftigten vor dem Hintergrund eines höheren Renditewunsches gefordert worden. Die Verhandlungen sollen Anfang 2021 abgeschlossen sein.
Frau Dr. Kerschbaumer betonte, dass das Sozialpartnermodell Neuland für die Gewerkschaften und alle Beteiligten bedeute und man sich vom Gesetzgeber mehr gesetzliche Vorgaben gewünscht hätte. Insgesamt habe man einen großen Respekt vor dem Vorhaben. Das Reputationsrisiko der Gewerkschaften in der Sache sei groß.
Im Folgenden sind die sieben Anforderungen von ver.di an ein Sozialpartner*innenmodell aufgeführt:
- Als Partner für ver.di kommen nur Anbieter*innen eines Sozialpartnermodells infrage, die selbst ihren eigenen Beschäftigten eine Betriebsrente mit einer breiten Arbeitgeber*innenbeteiligung oberhalb der gesetzlich verpflichtenden Weitergabe
der Sozialversicherungsersparnis bei Entgeltumwandlung zusagen. Eine substantielle Arbeitgeber*innenbeteiligung muss gegeben sein. - Arbeitgeber*innen müssen zusätzlich einen Sicherungsbetrag für das Entfallen der Arbeitgeberhaftung leisten.
- Ein SPM darf nicht zu einer Verschlechterung oder Ablösung bestehender Betriebsrentenmodelle führen.
- Die Finanzanlagen müssen ökologischen, ethischen und sozialen Nachhaltigkeitskriterien, sog. ESG-Kriterien
- Es sollen die verschiedenen Fördermöglichkeiten, wie die Niedrigverdiener- und Zulagenförderung genutzt werden können.
- Wichtig ist ver.di die gute Einbindung der Gewerkschaften bei der Durchführung und Steuerung.
- Die Tarifexklusivität muss gewahrt bleiben.
Frau Schminke berichtete, dass es bei der IG Metall seit der Tarifrunde im Jahr 2018 eine Gesprächsverpflichtung zum Sozialpartnermodell gibt. Auf dem Gewerkschaftstag im Jahr 2019 sei vorgegeben worden, dass eine 100%-Garantie gegeben sein müsse, wenn die betriebliche Altersversorgung zu Lasten von Entgelterhöhungen ginge. Hauptkriterium des Sozialpartnermodells bei der IG Metall sei, dass keine Entgeltumwandlung, sondern eine arbeitgeberfinanzierte Versorgung durchgeführt werde.
In den kommenden Tarifrunden sei das Sozialpartnermodell kein Thema. Aufgrund der strukturellen Probleme der Metallbranche stünden Beschäftigungs- und Strukturfragen im Zentrum künftiger Tarifverhandlungen. Daher stünde die IG Metall in Sachen Sozialpartnermodell drei Schritte hinter ver.di.
Grundsätzlich sei die IG Metall der Ansicht, dass bAV vom Arbeitgeber finanziert werden müsse. Die bAV stelle eine Ergänzung zur ersten Altersvorsorgesäule, der gesetzlichen Rentenversicherung dar.
Spannend sind die folgenden Einschätzungen des Sozialpartnermodells durch einige Teilnehmerinnen des Round Tables:
„Wenn kapitalgedeckte Altersvorsorgeprodukte mit Garantien weiter an Attraktivität verlieren, wie das derzeit viele Experten sehen, dann sind garantiefreie, aber dennoch sichere und hocheffiziente Sozialpartnermodelle offenbar eine sehr interessante Alternative.“
Dr. Natalie Brall, Unterabteilungsleiterin, Bundesministerium für Arbeit und Soziales
„Im Kontext von Großkonzernen ist das Sozialpartnermodell hinter firmeneigenen Direktzusagemodellen zurückstehend. In punkto Haftung, angesichts der Sicherheitsaffinität der Arbeitnehmer, leider in den heutigen Zeiten noch nicht ausgereift.“
Sabine Eichler, Spezialistin Vergütungsmanagement, Compensation and Benefits, Human Resources and Social Affairs, KRONES
„Gut ist der Ansatz des Gesetzgebers durch Einführung des Sozialpartnermodells die bAV vor allem für mittlere und kleine Unternehmen zu fördern. Wie der Vortrag aufgezeigt hat, sind Nachbesserungen im Gesetz zur Überwindung der Hürden in der Gestaltung und Umsetzung wünschenswert bzw. sogar notwendig.“
Monika Hennersberger, Vergütung und Zusatzleistung, Betriebliche Altersvorsorge, Altersteilzeit, BMW Group
„Die ersten Sozialpartnermodelle befinden sich auf der Zielgeraden und starten aller Voraussicht nach im nächsten Jahr. So wird die betriebliche Altersversorgung einen Schub bekommen. Zusammen mit der geplanten Digitalen Rentenübersicht rückt die Altersversorgung wieder mehr ins Bewusstsein der Menschen. Das ist gerade für Frauen wichtig.“
Dr. Judith Kerschbaumer, Leiterin des Bereichs Sozialpolitik, ver.di Bundesverwaltung
„Eine entscheidende Frage ist, wie Mitarbeitende in garantiefreie Modelle vertrauen sollen.“
Vera Schieferecke, Head of CoE Total Rewards, ALTANA
„Die Einführung der reinen Beitragszusage, welche in der Verantwortung der Tarifvertragsparteien steht, ist eine gute Idee. Sie erfordert aber viel Kommunikation um die Menschen mitzunehmen. Erste Tarifverträge, wie sie bei ver.di in der Diskussion sind, können helfen Vertrauen zu schaffen.“
Kerstin Schminke, Politische Sekretärin Tarifpolitik/-recht, IG Metall
„Das Sozialpartnermodell konnte sich bislang noch nicht etablieren. Für größere Arbeitgeber mit stimmiger Systemlandschaft besteht diesbezüglich kein Handlungsbedarf. Ob erste tarifvertragliche Umsetzungen die Tür in eine neue, rein beitragsbezogene Welt der bAV öffnen, bleibt abzuwarten.“
Dr. Tamara Voigt, Head of Pensions Strategy, Bayer AG
Die Lurse-Perspektive zum Sozialpartnermodell
Sozialpartnermodelle sind für das derzeitige Kapitalmarktumfeld wie geschaffen. Es ermöglicht attraktive Renditechancen und eine verlässliche, effiziente bAV. Die ersten sind daher wegweisend für die deutsche bAV. Allerdings erweist sich die Tarifbindung für KMUs als hinderlich.
Das Projekt: Frauen in der bAV für Frauen
Abschließend stellte Frau Dr. Endell, Leiterin Human Resources – Center of Expertise, Heidelberger Druckmaschinen, in ihrem Vortrag zunächst die Frage in den Raum, warum sich Frauen in der betrieblichen Altersversorgung träfen und was ein weiterer Benefit einer solchen Runde aus Industrie, Politik und Gewerkschaften sein könne. Hiernach regte sie an, mit dem Frauennetzwerk die Verbreitung der bAV bei Frauen zu fördern. Zum Hintergrund führte sie Zahlen an: Das durchschnittliche Alterseinkommen von Frauen sei aufgrund von Teilzeittätigkeit, Elternzeit, einer geringeren Anzahl an Dienstjahren erheblich geringer als bei Männern: Beispielweise liegt die durchschnittliche bAV bei Frauen ab 65 Jahren bei € 332,- brutto im Monat. Die der Männer bei € 663,- brutto im Monat.
Das Problem sei auch ein Informationsdefizit bei Frauen. Hier gebe es Handlungsfelder (etwa zu den Themen Entgeltumwandlung und Elternzeit, schuldrechtlicher Versorgungsausgleich). Auch auf betrieblicher Ebene gebe es verschiedene Gestaltungsmöglichkeiten, um dem gegenzusteuern. Denkbar seien auch gesetzliche und tarifliche Regelungen.
Der Vorschlag von Frau Dr. Endell, die Verbreitung der bAV bei Frauen zu fördern, stieß auf große Zustimmung.
Das nächste Treffen des Frauennetzwerkes findet im Frühjahr 2021 statt.
Autorinnen des Rückblicks
Utta Kuckertz-Wockel, Senior Managerin, Lurse
Isabel Noe, Senior Consultant, Lurse